Vergleich deutscher/europäischer und US-amerikanischer Regulierungssysteme beim Bau und Betrieb einer Produktionsanlage in den USA

Viele Unternehmen sind überrascht, wie groß die Unterschiede zwischen Deutschland und den USA beim Kauf, der Planung, dem Bau und dem Betrieb einer Chemie- oder Produktionsanlage sind.  Ein gutes Verständnis der Hintergründe dieser Unterschiede ist hilfreich bei der Identifikation und Minimierung von Fallstricken und Risiken solcher Projekte.

Wir vergleichen zunächst in diesem Artikel die Rechtssysteme in Deutschland mit denen der USA. Diese beiden Systeme zeigen bereits einige der grundlegenden Unterschiede, warum sich unterschiedlichen Arbeitsprozesse und Arbeitskulturen bei der Lösung technischer Probleme entwickelt haben.  Es soll auch ein Blick auf die Anwendbarkeit technischer Regelwerke und dem Stand der Technik in Hinblick auf die Betreiberverantwortung gelegt werden.  

Unterschiedliche Rechtssysteme beeinflussen unterschiedliche Verantwortlichkeiten und Arbeitskulturen.

In Deutschland und den USA herrschen unterschiedliche Rechtssysteme, die einen fundamentalen Einfluss auf die Betreiberverantwortung haben. In den USA gilt überwiegend das Gewohnheitsrecht (Common Law), während das deutsche System auf der Kodifizierung des Rechts basiert.

Deutschland hat für fast alle Angelegenheiten ein Gesetz, das sehr detailliert vorschreibt, wie vorzugehen ist und welche Normen oder Regelwerke anzuwenden sind. Der Nachteil besteht darin, dass diese Gesetze teilweise als überregulierend empfunden werden und die Genehmigungsverfahren langwierig und komplex sind.

In den USA hingegen ist dieser Einfluss der Legislative auf ein Minimum beschränkt. Das System stützt sich auf eine Reihe von Rechtsprechungen, die spezifische faktenbasierte Szenarien enthalten, welche typischerweise erst dann relevant werden, wenn es zu einer Klage kommt. Es passiert daher immer wieder, dass der Eigentümer mit Szenarien konfrontiert wird, wo es keine klaren Gesetze oder Regelwerke gibt. Bei diesen Situationen muss der Anlagenbetreiber selbst entscheiden, wie vorzugehen ist.

Jedes Rechtssystem hat daher zu unterschiedlichen Prozessen und Strategien zur Lösung technischer Probleme geführt.

Wir werden dies in den folgenden Abschnitten weiter aufschlüsseln.

Wie beeinflussen deutsche Gesetze und Behörden den Lifecycle einer Produktionsanlage?

Demnach liegt in Deutschland größtenteils die Verantwortung bei der Legislative, den Kodex mit Referenz auf alle anwendbaren technischen Regelwerke auf dem neuesten Stand zu halten. Dieser Grundsatz hat Vorteile für den Eigentümer bei der Planung, Bau und Betrieb einer Anlage, weil ein hohes Maß an Klarheit, Verlässlichkeit und Vorhersehbarkeit in den Gesetzestexten (Rechtssicherheit) gegeben ist. Im Gegenzug ist es aber erforderlich, den Behörden bei Genehmigungen sehr detaillierte Planungsdokumente und Angaben zum Prozess offenzulegen.

Mit anderen Worten: Auch wenn der Eigentümer für die sichere Planung, den Bau und den Betrieb der Anlage verantwortlich ist, gibt das deutsche Recht und deren referenzierten technischen Regelwerken für fast alle technischen Aspekte klare Leitlinien und Unterstützung. Die Legislative übernimmt damit eine erhebliche Verantwortung, wodurch das Risiko der Fahrlässigkeit für den Eigentümer verringert wird. Der Nachteil besteht darin, dass es im Vorfeld ein sehr aufwändiges Genehmigungsverfahren gibt, bei dem viele Details ausgearbeitet und den Behörden vorgelegt werden müssen, bevor überhaupt mit dem Bau einer Anlage begonnen werden kann. Unternehmensgeheimnisse und geistiges Eigentum wie z.B. technische Zeichnungen, R&Is und Prozessbeschreibungen müssen ggf. an Aufsichtsbehörden und autorisierte Dritte weitergegeben werden, um den Genehmigungsprozess zu starten. Des Weiteren werden deutsche Gesetze durch die jeweiligen Landesregierungen direkt umgesetzt, wodurch in ganz Deutschland die gleichen Standards gelten. Dies vereinfacht die Koordination mit den Behörden unabhängig vom Bundesland beim Genehmigungsverfahren.

Abbildung 1: Eine grobe Übersicht der Bereiche, die durch deutsche Gesetze und Genehmigungsprogramme reguliert und durchgesetzt werden. Beachten Sie, dass die Reichweite von Vorschriften tief in das Innenleben des Betriebes eindringt. Im Gegenzug haben deutsche Unternehmen eine bessere „Rechtssicherheit“.

Wie beeinflussen US-Gesetze und Behörden den Lifecycle einer Produktionsanlage?

Im Gegensatz zum deutschen Ansatz muss der US-Anlagenbetreiber alle für das Projekt geltenden Gesetze, Standards und Richtlinien kennen und seine Anwendbarkeit selbst bewerten. In diesem Zusammenhang ist das Konzept des „RAGAGEP“ (Recognized and Generally Accepted Good Engineering Practices) bei der Planung, dem Bau und dem Betrieb einer Produktionsanlage von entscheidender Bedeutung.

In der Regel gibt es in den USA kodifiziertes Recht nur dort, wo es um die öffentliche Sicherheit oder den Schutz der Umwelt geht. Als Beispiele seien die Gesetze: Clean Air Act, Clean Waters Act und die Chemical Facilities Anti-Terrorism Standards genannt.

In manchen Fällen können die Gesetze widersprüchlich oder die Anwendbarkeit fraglich sein. Folglich trägt der Eigentümer die Verantwortung, die Anwendbarkeit und das Zusammenspiel der einzelnen Gesetze zu ermitteln.

Der Eigentümer muss prüfen, ob die einzelnen Gesetze auf das Projekt zutreffen und welcher Genehmigungsantrag eingereicht werden muss, um gesetzeskonform zu sein. Zur Verringerung des Haftungsrisikos, muss der Eigentümer sicherstellen, dass die Anlage gemäß allen geltenden Normen und Standards sowie RAGAGEP entworfen, gebaut, gewartet und betrieben wird. Viele dieser Standards sind branchen- oder technologiespezifisch und müssen vom Eigentümer identifiziert und umgesetzt werden (z.B. API Standards). Abweichungen von diesen Standards erfordern umfangreiche Untersuchungen und Dokumentation, um zu belegen, dass die Alternative mindestens so sicher ist wie der referenzierte Standard.

Erschwerend kommt für den Betreiber dazu, dass jeder US-Bundesstaat zwar das Bundesrecht durchsetzt, aber diese Gesetze unterschiedlich auslegt. Somit hat jeder Staat spezifische Anforderungen und Kontrollmechanismen zur Durchsetzung der Gesetze. Diese unabhängige Handhabe führt dazu, dass der Betreiber mit vielen Behörden und Interessenvertretern auf Bundes-, Landes- und lokaler Ebene zusammenarbeiten muss, um sicherzustellen, dass alle Vorschriften und Verfahren eingehalten werden.

Abbildung 2: Eine grobe Übersicht der Bereiche, die durch US-Gesetze und Genehmigungsprogramme reguliert und durchgesetzt werden. Dabei ist zu beachten, dass der Einfluss der Behörden auf die Gestaltung und den Betrieb der Anlage begrenzt ist. Diese Philosophie verlagert einen großen Teil der Haftung auf US-Unternehmen. Darüber hinaus ist jeder Staat anders bei der Auslegung und Umsetzung der Bundesgesetze.

Zusammenfassung

Deutsche Unternehmen stehen beim Kauf oder Bau einer neuen Produktionsanlage in den USA der Herausforderung gegenüber, dass es keine staatliche Behörde gibt, die attestiert, dass die Anlage oder der Betrieb sicher gebaut, betrieben und sich im guten Zustand befindet. Die Beweislast dafür, dass die Anlage auf dem neuesten Stand der Technik und RAGAGEP ist, liegt beim Eigentümer. Die Haftung des Eigentümers ist daher im Vergleich zu Deutschland deutlich höher. Daher sind ein Gap-Assessment und Risikomanagementplan von entscheidender Bedeutung. Darüber hinaus erlaubt ein frühes Behörden-Management auf allen Ebenen (Bund, Bundesstaat und Lokal) eine erhöhte Planungssicherheit.

Haftungsausschluss:

Die in diesem Artikel dargestellte Informationen stellen keine Rechtsberatung dar und sind auch nicht als solche gedacht. Bitte konsultieren Sie Ihren Anwalt bezüglich Ihrer spezifischen rechtlichen Probleme und eventueller Fragen.

Danksagung:

Ich Danke Brian Eftink und Don Zierold bei der Erstellung dieses Artikels.

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